Der Shivling ist ein 6543m hoher, formschöner Berg im indischen Gharwal Himalaya. Durch seine Ästhetik und der Ähnlichkeit zum Matterhorn, gilt er auch als das Matterhorn Indiens. Er ist ein heiliger Berg. Zerstörung und Neuanfang. Dafür steht der Gott Shiva, der dem Berg seinen Namen gab. Ist dies ein böses Omen?
Als vierköpfiges Team (Andy Schnaf, Stephan Siegrist und Jonas Schild) reisen wir 2021 das erste Mal an diesen Berg, um seine steile Südwand als erste zu durchsteigen. Ein Projekt, an dem schon manche Expedition gescheitert ist. Als erste ausländische Expedition erhalten wir nach der Corona-Krise ein Visum und dürfen trotz strengen Regeln einreisen. Wir werden von den Einheimischen mit offenen Armen empfangen, denn die meisten in diesem Tal leben vom Tourismus und sind extrem froh, dass nun wieder ausländische Bergsteiger und Touristen kommen. Die nepalesischen Träger sind teilweise so übermotiviert, dass sie bis zu 75kg auf einmal tragen wollten. Definitiv eine Grenze, wo wir sie dann zu überzeugen begannen, dass es doch besser ist, wenn sie etwas weniger tragen und dafür zweimal laufen. Doch wir haben Verständnis für sie, denn sie hatten praktisch eineinhalb Jahre keinen Job mehr und mussten um ihre Existenz fürchten.
Der Berg stellte uns bereits am Anfang auf die Probe. Um schon nur an den Wandfuss zu gelangen, müssen wir durch ein schmales und mit Geröll durchsetztes Tal aufsteigen. Wir kommen dabei immer wieder in gefährliche Situationen, wo wir mit Steinschlag zu kämpfen haben. Nach einer ausgiebigen Analyse des Problems beschliessen wir nur noch früh morgens oder spät abends, wenn die Sonne noch nicht in das Tal scheint aufzusteigen, da der Steinschlag meistens vom Schmelzwasser ausgelöst wird. Nachdem wir den Grossteil unseres Materials ins ABC geschleppt hatten, steigen Jonas und ich das erste Mal in die Wand ein. Nachdem wir einen Weg durch den Bergschrund und das erste Schneefeld gefunden hatten, stockt unser weiter kommen. In der Nacht hatte es 5cm Neuschnee gegen und nun ist der Fels in der Morgensonne komplett nass. Wir werden erneut mit kleineren Steinen bombardiert, so als würde der Berg uns vertreiben wollen. Unser Bauchgefühl sagt uns, dass etwas nicht ganz stimmt. Wir seilen uns zwei Seillängen ab und steigen erneut auf, da wir unbedingt weiter kommen müssen. Erneut hagelt es vereinzelt Steine und wir brechen nun komplett ab und kehren ins ABC zurück. Nach 1-2 Stunden im ABC kommt eine ganze Geröll- und Steinlawine über die Wand hinunter, genau dort, wo wir vorhin noch waren. Eine Situation, die man definitiv nicht erleben möchte. Neben einem unguten Gefühl haben wir nun alle auch ganz viele Fragen im Kopf. Unsere Route, die wir eigentlich als sicher eingestuft hatten, war plötzlich für uns nicht mehr machbar. Zu gross ist der Respekt und das Schicksal möchte man auch nicht auf äusserste herausfordern. Ist unsere Expedition hier nun zu Ende?
Wir finden eine Linie, die etwas mehr links ist und nach unserer Beurteilung vor Steinschlag sicher und somit steigen wir zu 4. in die Wand ein. Mit dem Gepäck für 4-5 Tage kommen wir nur schleppend voran. Der eher flache Vorbau macht das Nachziehen des Haulbags zur Schwerstarbeit. Wir sind hier bereits auf 5500m, da bewegt man sich nicht wie auf Meereshöhe. Nach 300 Höhenmeter ist Schluss, aber zum Glück finden wir ein schmales Band, wo wir unsere zwei Zelte für die Nacht aufstellen können. Am nächsten Morgen geht es früh weiter über die steilste Partie der Wand. Senkrechter Granit und traumhaften Risssysteme. Wir kämpfen uns stetig höher bis auf 6000m wir erneut unser Nachtlager aufstellen. Am nächsten Morgen geht es Andy und Jonas nicht besonders gut und wir beschliessen, dass sich die beiden im Zelt ausruhen sollen und Stephan und ich klettern weiter, bis wir alle unsere Seile fixiert haben, damit wir am kommenden Morgen zu 4. weiter klettern können. Wir erreichen eine Höhe von ca. 6200m bevor wir wieder ins Camp abseilen. Am kommenden Morgen steht jedoch plötzlich ein anderes Thema im Fokus. Man hat es bereits in der Nacht erahnen können, dass sich bei Andy ein Höhenlungenödem abzeichnet. Sein Husten wurde immer schlimmer und er hatte bereits Wasser auf der Lunge. Alle Alarmleuchten waren auf Rot und wir müssen schnell handeln. Es gibt nur noch einen Weg und der ist so schnell wie möglich hinunter in tiefere Lagen. Aktuell ist Andy noch im Stand selber abzuseilen, doch wenn dies nicht mehr der Fall ist, wird aus unserem Rückzug eine äusserst aufwändige Rettung. Ein Spiel gegen die Zeit. Wir holen die vorher fixierten Seile raus und seilen über die Wand ab und erreichen noch am selben Tag das Basecamp.
Eine Niederlage, ein Scheitern - Nein! Ein Lernen und in den wichtigen Situationen die richtigen Entscheidungen treffen. Die oberste Priorität, dass alle wieder gesund nach Hause kommen. Als Team zusammen halten und einander helfen und unterstützen. Erfolg ist für mich nur die Spitze des Eisberges und es gehört viel mehr dazu als nur der Moment, wenn man auf dem Gipfel steht. Alle Meilensteine, die bis anhin erreicht werden mussten, zählen auch! Niederlagen gehören zum Erfolg und dem damit verbunden Prozess dazu. Sich wieder aufraffen, aus den Fehlern lernen und es erneut versuchen, das ist der Weg zum Erfolg.
Ein Jahr später, 2022 reisten wir erneut an den Shivling, um das Projekt abzuschliessen. Dieses Mal hatten wir unseren Teil gelernt und wollten nicht mehr direkt an unserer Route akklimatisieren, sondern am benachbarten Kedernath Dom der knapp 6900m hoch ist. Doch Shiva, war uns dieses Mal nicht gut gesinnt. Was letztes Jahr die Steine waren, war in diesem Jahr der Schnee. Bereits beim Akklimatisieren mussten wir auf ca. 5400m aufgrund von Lawinengefahr umkehren. Es schneite fast täglich und schlussendlich konnten wir nicht einmal den Wandfuss vom Shivling erreichen. Die Verhältnisse zu gefährlich, ein Versuch aussichtslos. Eine harte Tatsache, die man akzeptieren muss. Niederlagen sind ein Teil des Prozesses, aber man lernt daraus meistens fast mehr als aus Erfolgen. Manchmal gewinnt man und manchmal lernt man.
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